An einem Morgen im August juckte mein
rechtes Auge. Wahrscheinlich beim Möhrenputzen wieder nicht
aufgepasst und mit den Fingern im Auge gerieben. Passiert öfter,
Dummkopf. Die üblichen Allergietropfen rein und ab zur Arbeit. Trotz
der Tropfen hatte ich aber noch lange das Gefühl dass irgendwas
nicht stimmt mit dem Guckerchen, das ich nicht so richtig geradeaus
gucke... Beim Blick in den Spiegel dann festgestellt, dass meine
rechte Pupille riesig erweitert ist und meine linke dafür ziemlich
klein. Oha. Das sieht ja mal komisch aus. Kurze Recherche im
Kollegenkreis in der Hoffnung dass jemand sagt, ach, das? Jahaaa, das
hat mein Tantchen Gertrude auch alle paar Wochen, is nicht schlimm,
geht von alleine wieder weg, aber Pustekuchen. Sagt keiner.
Öh... Na gut, gehe ich halt zur Augenärztin
und lasse die mal schauen.
Nach kurzer Wartezeit und zwei
faszinierten Arzthelferinnen, die sowas noch nie gesehen haben, dann
der zwar fachfrauliche, aber genauso irritierte Blick der Ärztin.
Was ich für Pflanzen daheim stehen habe, ob ich mir da Pflanzensaft
ins Auge gerieben habe oder ob ich Gärtnerin bin und mit
Trompetenblumen zu tun habe? Nein, ich bin Erzieherin und ausser das
ich ab und zu mal jemandem den Marsch blase, hab ich nix mit
Trompeten zu tun. Ja, was haben sie denn heute gemacht bevor das
auftrat?
Also das war so: Ich habe mir für mein
Hasenfrühstück Möhren geschält und mir dadebei wohl das Auge
gerieben und meine übliche Möhren-Auge-Allergie gekriegt und dann
die Augentropfen ins Auge gemacht, die Sie mir vor ein paar Monaten
verschrieben haben. Vielleicht sind die ja schuld? Nein, an den
Augentropfen kanns definitiv nicht liegen, das ist eine ernste Sache,
das sieht nach einer neurologischen Störung aus, gehen sie mal bitte
fix in die Neurologie, ich schreib ihnen eine Einweisung, das muss
man ernst nehmen, was da alles passieren kann usw, blablabla.
Diagnose: Horner Syndrom links, d.h.:
Ausfall des Muskels der die Pupille beeinflusst, deshalb verengt sich
die Pupille (und die andere wird weiter weil sie die ganze Arbeit
machen muss) und das Augenlid hängt herab. (War mir garnicht
aufgefallen, aber wenns der Doktor sagt...) 24-Stunden
Intensivstation, MRT Nr 1-4, Sonographie der Halsarterien,
Rückenmarkspunktion, Verlegung auf normale Station, nach fünf Tagen
Entlassung ohne Befund. Die Pupillenerweiterung verschwand im Laufe
des ersten Tages bereits ohne einen Rückschluß auf die Ursache zu hinterlassen. Kein Tumor im Hirn, kein Krebs in der
Lunge, kein Schlaganfall zu finden. Uff. Das ist ja schon mal beruhigend.
Mein Freund Horner tauchte im letzten halben Jahr noch zweimal auf. Diesmal allerdings am
anderen Auge und jeweils für einige Stunden. Immer nach
demselben Muster: Allergie, Tropfen, dennoch Sehschwierigkeiten, Pupillenerweiterung.
Beim zweitenmal im Oktober ignorierte
ich es erstmal, es war ja alles wichtige bereits untersucht, und ging
erst ein paar Tage später zu einem niedergelassenen Neurologen, der
absolut keinen Schimmer von Horner Syndrom hatte, aber zur Sicherheit
nochmal ein MRT machen ließ (Nr 5), falls da doch was sei. War es
aber nicht.
Beim dritten Mal im April packte mich dann doch
die leichte Paranoia. Also ab in die ambulante Sprechstunde des
Professors der die Neurologie leitet, in der ich beim ersten Mal war.
Muss ich es extra erwähnen? Na gut: MRT Nr 6 und Sono Nr 2 sowie ein
ernsthaftes Gespräch mit dem Professor der einen stationären
Aufenthalt empfahl um abzuklären, was das denn sein könne. Ein
Horner hält es üblicherweise mit „Wir sind Helden-
Gekommen um zu bleiben“ und geht nicht nach ein paar Stunden weg.
Das ist schon ungewöhnlich genug, aber das es dann auch noch an
verschiedenen Augen auftaucht setzt dem Faß die Krone auf.
Möglicherweise Migräne- es gäbe da verschiedene Formen, aber auf
jeden Fall sollte zuerst die Uniaugenklinik sich das anschauen um
sicherzugehen dass mit den Augen alles in Ordnung sei.
Auch in der Uniklinik nach gründlicher (!) Anamnese und noch gründlicherer Untersuchung durch mehrere Weißkittel: kein Befund.
Bevor ichs vergesse: MRT Nr 7, wer
errät es? Na, klar: Ohne Befund.
Zu weiteren Untersuchungen weigerte ich
mich, Selbstdiagnose: Schnauze gestrichen voll. Bis hierher und
keinen Schritt weiter.
Ich lass das jetzt so.
(Ich hab echt überlegt mir das aufs
Tshirt zu drucken. Ich lass das jetzt so. Gefiel mir gut.)
Wer jetzt noch wach und dabei ist, kann
sich nun auf den letzten Akt freuen:
Letzten Freitag war ich ziemlich
geplagt mit meinem Heuschnupfen. Die Augen juckten wie verrückt und
mehrmals am Tag machte ich meine üblichen Augentropfen rein, viermal
ins rechte, dreimal ins linke Auge. Trotzdem wurde es mit dem Gucken
nicht besser, abends hatte ich dann das Gefühl, ich seh überhaupt
nix mehr richtig, alles blendet, was ist denn da los Mensch?
Beim Blick in den Spiegel dachte ich,
mich trifft der Schlag. Rechte Pupille riesengroß, linke Pupille nur
etwas kleiner. Das kann doch nicht sein, hier verarscht mich doch
einer!!! Beidseitiges Horner??? Im Leben niemalsnich!!! Nach kurzem Nachdenken das iPhone geschnappt und in der
Medikamentenapp eingegeben: Duraultra sine. Die Augentropfen.
Darf ich einen kleinen Auszug aus dem
Beipackzettel zum Besten geben?
Nebenwirkungen:
Häufig: Weitstellung der Pupillen.
Ich war fünf Tage im Krankenhaus,
hatte drei verschiedene mehr oder weniger tödliche Horrorkrankheiten
in Aussicht, war siebenmal im MRT, habe insgesamt mehrere Tage bei
ratlosen Ärzten und in Kliniken verbracht, mal ganz abgesehen von
den Sorgen die meine Familie und ich uns gemacht haben, und das alles
wegen einer BESCHISSENEN NEBENWIRKUNG eines Medikamentes das
ausnahmslos alle Ärzte als unwichtig abgetan haben, allen voran die
Augenärztin, die mir ebendiese Augentropfen ein halbes Jahr zuvor
verschrieben hat und die als allererste hätte erkennen müssen dass
die die Ursache sind. Aber nein, ihre Worte: Die Tropfen können da garnix
mit zu tun haben. Und alle anderen Ärzte hinterher waren
dermaßen auf die Diagnose HS fixiert dass sie überhaupt
nicht mehr WAHRGENOMMEN haben, dass ich Augentropfen erwähne. Dabei habe ich ich überall in
der Anamnese extra noch den Namen des Medikamentes zu Protokoll
gegeben.
Das Ausdruck „Fassungslosigkeit“
ist für mich jedenfalls neu definiert. Dieses Gefühl von völliger, absoluter
Fassungslosigkeit beim Anblick der Nebenwirkungen kannte ich bis dahin überhaupt noch nicht. Das hat mich wirklich aus dem Gleichgewicht gebracht.
Und gleichzeitig ärgere ich mich über
mich selbst: Hätte ich nicht früher selbst nach den Nebenwirkungen
schauen müssen? Warum habe ich mich von diesen Fachidioten nur so
beeinflussen lassen??? Und wie sehr beeinflussen lassen: mein Augenlid HING nie runter, ich bin von Natur aus so häßlich! Das haben wir uns nur einreden lassen, weil das beim HS halt so ist, fertig. Und das Gehirn sieht, was es sehen will oder soll. Der Beweis wäre erbracht.
Ich darf überhaupt nicht darüber
nachdenken was das alles für Kosten verursacht hat. Wenn das einer
von meiner Krankenkasse liest muss ich da den Rest meines Lebens
spülen und kriegs trotzdem nicht abgearbeitet.
Nicht zu vergessen das
Krankenhausessen: das betrachte ich immer noch als einen Anschlag auf
meine Gesundheit. Das ich das überlebt habe.
Fazit: Nicht nur Google ist dein Freund. Wikipedia erst recht.
Und: Trau niemals einem Arzt, der seine Doktorarbeit nicht bei dir selber abgeschrieben hat.